Hölderlins Echo

Virtual Reality-Erlebnis im Hölderlinturm

Durch die VR-Brille wird der Raum von Hölderlins Turmzimmer virtuell historisch realistisch erlebbar: Es entsteht ein edukatorischer Mehrwert, der allein durch traditionelle Ausstellungsmethoden nicht erfahrbar wäre. 

Über fünf Fenster entsteht so ein spielerischer, interaktiver Zugang zu Leben und Werk des Dichters. Hier kann man Hölderlins Welt durch seine Augen sehen. 

Der erste Raum bietet eine authentische Rekonstruktion von Hölderlins Turmzimmer im 19. Jahrhundert, die mithilfe historischer Grundrisse aus dem Literaturarchiv Marbach animiert werden konnten.

Diese Installation kann man im Hölderlinturm Tübingen besichtigen.

Kontakt: hoelderlinturm@tuebingen.de

Website: Hölderlinturm Tübingen

Fenster 1: Der magische Garten der Kindheit

Das erste Fenster visualisiert die Gefühlswelt Hölderlins während seiner Kindheit: Diese ist geprägt von der als magisch empfundenen Natur, aber auch vom tragischen Verlust des Vaters und Stiefvaters. In dem zauberhaften, zwischen den Jahreszeiten fluktuierenden Garten, an dem Hölderlin großen Gefallen fand und den er auch in seinen Dichtungen erwähnte, können die Spieler*innen diese emotionalen Kontrapunkte ablaufen und nachempfinden.

Biografischer Bezug:

Idyll von Melancholie überschattet, Trauer über den Tod des zweiten Vaters Gock (ab 1779)

Verbindung zu Hölderlins Originaltexten:

Gedicht „Da ich ein Knabe war“

Künstlerischer Stil:

Stilisierte 2.5 D Animation mit Texturen in 3D-Raum

Interaktion:

Ein Rabe kommt ans Fenster geflogen und klopft mehrfach an die Scheibe. Bei Berühren dieser Stelle wird man in den magischen Garten der Kindheit gezogen. Und es gibt noch mehr zu entdecken.

Fenster 2: Schule und Ausbildung

Das zweite Fenster visualisiert die strenge und religiös geprägte Erziehung Hölderlins, die ihm zum Ende des 18. Jahrhunderts in zwei Klosterschulen zuteil wurde. 

Fantastische Elemente werden hier mit historisch inspirierter Architektur kombiniert und mit popkultureller Ikonographie bestückt. Hier kann man beobachten, wie Hölderlin heranwächst, wie er sich selbst, sein Innenleben und seinen Körper besser kennenlernt. Das Erzählte ist dabei zwar frei gestaltet und nicht historisch korrekt, weckt jedoch bewusst Assoziationen.

Biografischer Bezug:

Hölderlin besucht die evangelischen Klosterschulen (Gymnasien) in Denkendorf und Maulbronn (ca. 1780er Jahre)

Verbindung zu Hölderlins Originaltexten:

Gedicht „Die Nacht“

Künstlerischer Stil:

Collagen von zeitgenössischen Vorlagen, in der Stilistik angelehnt an die klassischen Legetrick-Animationen Terry Gilliams (Monty Python) – neu erfunden und interpretiert für das digitale Medium.

Interaktion:

Die Klosterschulen kann man von nahem erkunden und zahlreiche weitere interaktive Überraschungen entdecken, die hier jedoch noch nicht verraten werden.

Fenster 3: Imaginierte und reale Ausflüge in die romantische Natur

Über das dritte Fenster lassen sich die zahlreichen Ausflüge Hölderlins in die Natur der Schwäbischen Alb imaginieren, wie zum Beispiel zu der damals nur als Ruine existierenden Burg Lichtenstein. Seine Faszination für das Göttliche in der Natur und seine romantische Welterfahrung werden somit nachempfindbar. Die stark der romantischen Malerei verpflichtete Bilderwelt spiegelt hier den vermeintlich ungebrochenen und vitalen Lebenswillen des jungen Hölderlin wider.

Biografischer Bezug:

Von 1788 bis 1793 studierte Hölderlin Theologie an der Universität in Tübingen. Während dieser Zeit schloss er Freundschaft mit Hegel und Schelling.

Verbindung zu Hölderlins Originaltexten:

Gedicht „Aussicht“

Künstlerischer Stil:

Romantische Malerei des 19. Jahrhunderts

Interaktion:

Beim Öffnen des Fensters fliegt man hinaus in die Landschaft und findet sich dort in wild-romantischer Umgebung wieder, die neue Auswahlmöglichkeiten zur Interaktion anbietet.

Fenster 4: Diotima
Die tragische Liebesaffäre mit Susette Gontard

Hölderlins berühmte tragische Liebesaffäre mit Susette Gontard ist Gegenstand des vierten Fensters. Durch ein „Fenster im Fenster“-Konzept bekommt man in voyeuristischer Manier und nichtlinearer Abfolge Einblicke in die verschiedenen Stadien dieser stets geheim gehaltenen und unglücklich endenden Beziehung.

Das interaktive Konzept fungiert zugleich als Anspielung und Hommage an den Hitchcock-Filmklassiker „Das Fenster zum Hof“ (1954, mit James Stewart und Grace Kelly).

Biografischer Bezug:
1796 nimmt Friedrich Hölderlin eine Anstellung als Hauslehrer für die Frankfurter Bankiersfamilie Jakob Gontard an. Hölderlin begegnet dort der Ehefrau Susette Gontard, für die er große Liebe empfindet. Sie wird später seine Diotima in dem lyrischen Briefroman „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“. Gontard erfährt von den Umständen und fühlt sich in seiner Ehre verletzt, so dass Hölderlin seine Anstellung und gleichzeitig seinen Wohnort verliert. Er flieht nach Homburg zu seinem Studienfreund Isaac von Sinclair.

Verbindung zu Hölderlins Originaltexten:
Gedichte „Die Liebenden“, „Diotima“

Künstlerischer Stil:
Schattentheater im Fenster, Hommage an Lotte Reiniger. Animierter Silhouettenstil in innovativer digitaler Neuinterpretation.

Interaktion: Das Beleuchten der Fenster im Innenraum erlaubt den Einblick in verschiedene Erlebnisräume, durch die man die tragische Liebe in verschiedenen Schlüsselmomenten miterleben kann. Um in der Geschichte voranzukommen, kann man immer wieder neue Auslöser aktivieren.

Fenster 5: Späte Jahre im Turm

Das fünfte Fenster taucht in die Innenwelten Hölderlins letzten Lebensjahre ein. Es stellt die dualen Persönlichkeiten Hölderlin und Scardanelli in fantastisch überhöhter Architektur und mit expressionistisch stilisiertem Ausdruck dar. Man läuft mit Hölderlin um einen See herum, metaphorisch für die Selbstbespiegelung des Narzissten. Um diese Szene herum finden und verlieren sich Textfetzen, Gedichte entstehen und zerfallen und die Zerrissenheit zwischen vermuteter Unruhe und künstlerischer Erfüllung wird poetisch visualisiert. Folgt man einer blauen Figur in den Turm hinein, so findet man hier außerdem eine Hommage auf die verworrene Grafikkunst von M.C. Escher.

Biografischer Bezug:
Hölderlin kommt ab 1807 in eine Pflegefamilie, der Familie des Tischlers Ernst Zimmer. Er lebt dort 36 Jahre in einem Turmzimmer, im Haus des heutigen Hölderlinturms. In dieser zweiten Lebenshälfte verfasst er weiterhin Gedichte, oft unter seinem Pseudonym oder Alter Ego Scardanelli. In der Literaturwissenschaft bleibt umstritten, ob er in dieser Lebensphase wirklich unglücklich oder aber wahnsinning war.

»Ich bin überzeugt, dass Hölderlin die letzten dreißig Jahre seines Lebens gar nicht so unglücklich war, wie es die Literaturprofessoren ausmalen. In einem bescheidenen Winkel dahinträumen zu können, ohne beständig Ansprüche erfüllen zu müssen, ist bestimmt kein Martyrium. Die Leute machen nur eins draus.« (Robert Walser)

Verbindung zu Hölderlins Originaltexten
Gedichte der zweiten Lebenshälfte

Künstlerischer Stil:
Unsere interaktive Interpretation spiegelt diese Ambivalenz visuell wider: Spiegelungen und typografische Verwirrungsbilder, Persönlichkeitsspaltung, Abstraktion, vor schwarz abstraktem Hintergrund.

Interaktion: Nähert man sich der Wasseroberfläche des Neckars oder berührt man sie, ergeben sich immer neue Spiegelbilder und Verzerrungen, die die ambivalente Persönlichkeit Hölderlins in dieser Lebensphase visualisieren.